Zuverlässig wie jede Nacht weckte mich mein bester Freund aus dem Tiefschlaf. Bob, 8 Jahre, haarig, treu. Mein Hund, mein Ein und Alles.
Draußen war es noch tiefste Nacht. Vom weiten konnte ich die Zeiger der kleinen Dorfkirchenuhr erkennen: 3:30 Uhr. Bob war sehr zuverlässig. Schließlich schien er zu wissen, wie wichtig mein Nebenjob war. Ich musste mir auch eingestehen, dass nur er davon wusste. In meinem Zimmer gab es keinen Strom, keine moderne Technik. Daher griff ich wie immer per Zufallsprinzip in meinen kleinen Kleiderschrank - es wird schon was vernünftiges sein. Leise zog ich mich an und schlich in das Badezimmer. Es lag direkt neben dem Schlafzimmer meiner Eltern. Das hieß aber, ich musste erstmal diese doofe, alte und laute Treppe hinunter. So leise wie möglich schlichen Bob und ich also ins Badezimmer. Hier gab es Licht und fließendes Wasser, was bei unseren alten Haus schon echt ein Fortschritt war. So putzte ich mir fix die Zähne und beobachtete mich dabei im Spiegel: große grüne Augen in einem blassen Gesicht mit langen braunen (sehr widerspenstigen) Haaren. Mein Outfit war okay. Was sollte an einer schwarzen Leggings und einem riesigen, löchrigen dunkelrotem Pullover auch nicht passen? Man kannte mich so: lässig wie eh und je. Bob wurde langsam nervös und mir wurde klar, dass ich schon wieder viel zu lange gebraucht habe. Was solls: Haargummi in die Haare, wie praktisch -ein Dutt geht immer. Vorsichtig löschte ich das Licht und öffnete langsam die Tür. Zum Flur und der Haustür war es nicht mehr weit, alles lief nach Plan und keiner rührte sich im Haus. Und mit "keiner" meinte ich meinen Vater und meine Mutter. Schwanzwedelnd setzte sich Bob vor mich und wartete geduldig darauf, dass ich endlich meine Schuhe anzog. Auch hier dominierte die Farbe schwarz: alte Chucks, dazu warf ich mir noch meine schwarze Jacke über. Eilig verließen wir das Haus und traten raus in die Nacht. Die Kirchturmuhr schlug vier Uhr. Somit hatte ich noch einige Zeit, bis mein Vater aufstehen würde. Ein Glück das Ferien waren, mein letztes Jahr an der Schule und im alten Leben. Ich hatte noch ein paar Tage Zeit um Geld zu verdienen. Bob trottete gemütlich neben mir her, hob ab und an sein Bein und schnüffelte an diversen Büschen. Ich mochte sein unbeschwertes Dasein, ich wünschte mir, es ginge mir genauso. In der Schule hatte ich es wahrlich nicht einfach: man mochte keine Jugendlichen, die "arm" waren und wo das gesamte Dorf wusste, was zuhause los war. Jeder wusste es, aber alle schauten weg. Mein Vater trank viel Alkohol, was wiederum wenig Geld für meine Mutter und mich bedeutete. Genaugenommen reichte es, um ab und an was zu Essen zu kaufen. Und das er uns oft schlug wusste man auch. Es war so normal, wie Kater Karl, der auf dem Schoße der alten Frau Bechtelmeyer saß. Nicht mehr lange und ich hatte durch meine heimliche Arbeiterei genügend Geld um in aller Ruhe mich aus dem Staub zu machen und mir irgendwo eine Lehrstelle zu suchen. Mich würde hier, bis auf meine Mum, niemand vermissen. Sie zurückzulassen wird sehr schwer, sie ist krank. Seit ein paar Tagen habe ich sie nicht gesehen. Vater sagt, sie schläft viel. Was sie hat, weiß ich nicht. So ohne weiteres dürfen wir nicht zum Arzt, die Frage nach dem Warum, kann man sich denken.
Gedankenverloren stand ich plötzlich auch schon vor dem Bauernhof bei uns im Ort. Ich sah Bob an "So mein Schatz, du wartest hier. Ich hab dich lieb!" Er hächelte mich fröhlich an und setzte sich an seinen Platz am Zaun. Viel Arbeit wartete heute wieder auf mich: Kühe füttern, den Stall ausmisten, Eier absuchen, die Hühner auf das Freiland lassen. Puh, ich musste mich echt beeilen. Ich liebe die Arbeit hier, die Tiere, die frische Luft, das kleine Stückchen Freiheit. Die Kühe versorgte ich mich reichlich Heu und frischem Wasser. Beim ausmisten half mir Herr Springer, mein Chef. Er war immer gut gelaunt und liebte seine Tiere. Fröhlich ging ich auf ihn zu. "Guten Morgen Herr Springer." begrüßte ich ihn. "Guten Morgen Nele, wie geht es dir heute?" antwortete er. "Mir geht es gut. mit der Versorgung der Kühe bin ich fertig. Wir können sofort mit dem Ausmisten anfangen." "Oh du hast es wohl heute eilig? Mir soll es recht sein." Er lächelte und wir legten los. Jeder von uns schnappte sich eine Mistgabel. Herr Springer führte den großen Hänger zum Stall, sodass wir diesen beladen konnten. Wie leicht heute die Arbeit von der Hand ging. Es lenkte mich von meinen Alltag ab und gab mir Hoffnung. Als wir fertig waren, ging ich in Ruhe zum Hühnerstall und suchte eifrig die Eier ab. Bei weit über einhundert(!) Hühnern, war das eine Menge. Ich war noch nicht fertig, als ich ein klägliches Jaulen hörte. Mir wich die Farbe aus dem Gesicht und meine Nackenhaare stellten sich auf. Ich war kaum in der Lage, den Stall mit meinen zittrigen Beinen zu verlassen. Ich trat nach draußen und als ob ich wüsste wohin ich muss, ging ich vor zur Straße. Mir wurde übel. Mein Herz raste. Neben dem Alten Jeep stand er. Mein Vater. Betrunken, dreckige Kleidung, wütend. Mein Blick glitt zu seiner rechten Hand. Ich sank zu Boden und schrie. Was ich dort sah, konnte nicht sein.
Bob.
Sein schlaffer Körper hing in seinem Halsband. Blut tropfte zu Boden. Wie abfall warf mein Vater ihn in den Straßengraben. Wankend kam er auf mich zu...
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